Jubilee und Dalek

Jubilee von Robert Shearman gilt als eines der besten Big-Finish-Hörspiele überhaupt. Die darauf basierende Fernsehfolge Dalek ist unzweifelhaft eines der Highlights der Doctor-Who-Staffel mit dem 9. Doctor. Beide Male steht ein einsamer Dalek im Mittelpunkt, der sich durch das Einwirken des Companions verändert und nicht mehr Dalek-typisch verhält. Obwohl man wechselseitig ganze Szenen erkennen kann, entwickeln sich beide Werke in gänzlich andere Richtungen. Jubilee und Dalek sind jedoch nicht nur für sich genommen sehr gelungen, sondern auch ein direkter Vergleich ist lohnenswert.

Jubilee
Der 6. Doctor und Evelyn versuchen, im Jahre 1903 zu landen, bleiben aber in einer alternativen Zeitlinie im Jahre 2003 stecken. Dort gibt es noch das britische Empire, das zu einer diktatorischen Großmacht geworden ist. Als Erinnerung an den Sieg des Empires über die Daleks hundert Jahre zuvor, soll bei den Jubiläumsfeierlichkeiten ein Kriegsgefangener, der letzte verbliebene Dalek, hingerichtet werden.
Dalek
Der 9. Doctor und Rose verfolgen ein Notrufsignal, das sie im Jahr 2012 in eine Privatsammlung voller Alienartefakte führt. Dort treffen sie auf einen einzelnen Dalek, obwohl der Doctor bis dato überzeugt war, dass die Daleks zusammen mit den Time Lords im Time War vollständig vernichtet wurden.

Es gibt drei hauptsächliche Unterschiede zwischen Jubilee und Dalek: Das Format (Jubilee besteht aus 4 Teilen mit zusammen 143 Minuten Länge, Dalek ist eine 45-minütige Folge), die auftretenden Doctoren (mein liebster Hörspieldoctor in Jubilee vs. mein Lieblingsdoctor überhaupt in Dalek1) und, als Schlussfolgerung aus den ersten beiden Punkten, die Handlungsschwerpunkte. In Jubilee ist der einsame Dalek, der durch das Einwirken des Companions des Doctors zur Selbstreflexion befähigt wird, ein Handlungsstrang von mehreren. Seine Wandlung dient im Zusammenhang mit dem faschistischen Regime als Parabel auf Macht an sich. In Dalek ist die Nebenhandlung dagegen nur Mittel zum Zweck. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der Konfrontation zwischen dem Doctor und dem Dalek, wodurch die Auswirkungen des Time War auf den Doctor ergründet werden2.

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Normalerweise ist der 6. Doctor der aufbrausendste von allen Doctoren, in diesem Fall ist aber der 9. Doctor wesentlich lauter und wütender als sein früheres Selbst. Dazu muss man sich die Hintergrundgeschichte beider Doctoren in Erinnerung rufen. Der 6. Doctor begegnet Daleks zwar wahrlich nicht gerne, aber alles in allem sind die Daleks "nur" die gefährlichesten Bösewichte, die es damals gab. Der 9. Doctor ist dagegen vom Time War deutlich gezeichnet. Er und der einsame Dalek sind die einzigen Überlebenden dieses Krieges, der Time Lords und Daleks aus der Geschichte ausgelöscht hat.

Auch der Charakter des Daleks wird von seiner Vorgeschichte beeinflusst. Der Dalek in Jubilee hält sich zwar durch sein Überleben für einen Verräter, andererseits lebt er immerhin in dem Bewusstsein, dass es andernorts noch Daleks gibt, die ihm Befehle erteilen können. Unter dem Einfluss von Evelyn, die die erste Person ist, die ihn respektvoll behandelt, stellt er seine bisherigen Handlungsmuster in Frage. Obwohl der Dalek seiner Wandlung auch positive Aspekte abgewinnen kann, bleibt er trotzdem ein Soldat im Kriegszustand. Die Macht und Gefährlichkeit, die immer noch von ihm ausgeht, äußert sich in der Manipulation der ihn umgebenden Menschen, auch wenn er zu seiner eigenen Verwunderung Evelyn davon ausnimmt. Er stirbt auch nicht aus purer Verzweiflung, sondern zumindest in seinen Augen für die Sache der Daleks.

Der 6. Doctor ist von dem herrschenden Regime und der Behandlung des unterlegenen Daleks sehr geschockt. Zunächst nur widerwillig, kann er später sogar die Position des Daleks nachvollziehen. Im Gegenzug schafft er es, dem Dalek seinen Standpunkt nahezubringen: Wenn die Daleks ihrem Drang folgen und alle niederwertigen Lebewesen ausrotten, müssen sie sich schließlich gegenseitig bekämpfen, indem sie zwischen höher- und minderwertigen Daleks unterscheiden. Wenn man das Szenario bis zum Ende durchdenkt, führt es immer dazu, dass nur ein einziger Dalek übrig bleiben wird, der wahnsinnig werden muss, weil er sich selbst um seine Bestimmung gebracht hat.

Der Dalek aus Dalek erlebt ein ähnliches Szenario wie das, das der 6. Doctor vorhergesagt hat. Er ist zwar nicht der letzte seiner Art, weil er alle anderen umgebracht hat, aber die Daleks sind nur kurz vor Erreichen ihres Zieles ausgerottet worden. Der Dalek empfindet ob des Leids des Doctors zwar eine gewisse Genugtuung, andererseits ist seine Lage umso hoffnungsloser, weil für ihn keine Aussicht mehr besteht, jemals wieder Befehle zu erhalten und somit seiner Bestimmung gerecht zu werden. Die durch Rose hervorgerufenen Veränderungen berauben ihn seiner Identität als Dalek, was die einzige Sicherheit war, die ihm nach Ende des Time War noch geblieben ist. Das Massaker, das er begeht, ist der Versuch, auch unter den veränderten Umständen weiterhin der obersten Anordnung der Daleks zu folgen. Gleichzeitig verängstigt es den Dalek regelrecht, wie sehr er von Rose fasziniert ist. Während der Dalek aus Jubilee entfernt an Dalek Caan aus dem Finale der 4. Doctor-Who-Staffel erinnert, bleibt der Dalek aus Dalek nach menschlichem Maßstab erstaunlich klar bei Verstand, weshalb er ein genaues Bild der Beziehungen der ihn umgebenden Personen hat, einschließlich der des Doctors und Rose.

Wichtiger noch als die Wandlung des Daleks ist die Veränderung des Doctors in Dalek. Der 9. Doctor begreift anscheinend erst in Gegenwart des Daleks das volle Ausmaß seiner Handlungen im Time War. Seine anfängliche nackte Panik angesichts des überlebenden Daleks schlägt um in blinde Wut und Rachegefühle. In den Szenen, in denen der Dalek und der Doctor aufeinander treffen, facht der Dalek diese Gefühle bewusst an, doch auch der Doctor lässt keine Gelegenheit aus, den Dalek an dessen Scheitern zu erinnern. Als der Dalek Rose als Geisel nimmt, gibt der Doctor zwar vorerst nach, bereitet sich aber zugleich darauf vor, selbst den Dalek umzubringen. Rose kann ihn nur mühevoll überzeugen, den inzwischen nicht mehr zum Töten fähigen Dalek zu verschonen – in gewissem Sinne hat sie also die gleiche Wirkung auf den Doctor wie auf den Dalek.

In beiden Fällen ist die Angst der Companions für den Dalek sehr wichtig. Der Dalek aus Jubilee fühlt sich durch Evelyns Angst endlich wieder würdig behandelt. Da Rose, anders als Evelyn, noch nichts von den Daleks weiß, hat sie zuerst keine Angst vor dem Dalek. Später ist der Dalek von der Angst, die Rose unweigerlich entwickelt, ganz eingenommen, da er dieses Gefühl (wie so viele andere auch) bisher nicht kannte.

Sowohl Jubilee als auch Dalek zeigen jeweils eine ganz besondere Doctor-Companion-Beziehung. Der bisweilen etwas anstrengende 6. Doctor hat mit Evelyn eine Begleiterin gefunden, die sich von ihm nicht aus der Ruhe bringen lässt und seine Handlungen hinterfragt, wenn sie ihren Prinzipien zuwider laufen. Als nicht mehr ganz so junge Wissenschaftlerin ist sie zwar neugierig, handelt aber überlegter als viele andere Companions. Der Doctor seinerseits hat große Freude daran, Evelyn neue Dinge zu zeigen oder falsche geschichtliche Vorstellungen von ihr zu korrigieren. Rose ist im Gegensatz zu Evelyn noch recht naiv und geht mit großen Augen durch die Welt (bzw. das Universum). Beide Companions eint jedoch, dass sie anderen Lebewesen gegenüber mitfühlend sind und sich dabei lieber auf ihre eigene Einschätzung verlassen, statt vorgefertigten Meinungen zu folgen. Rose' schafft es in ihrer zutiefst menschliche Art dann auch, dem Doctor Schritt für Schritt das Vertrauen in sich selbst zurückzugeben. Der Doctor wiederum entwickelt einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, der allerdings manchmal sein Urteilsvermögen beeinträchtigt.

Im direkten Vergleich zwischen Jubilee und Dalek macht sich für mich bemerkbar, dass der 9. Doctor eben mein Lieblingsdoctor ist. Allerdings kommt hinzu, dass Christopher Eccleston in Dalek eine Bestleistung abliefert. In den Dialogszenen zwischen dem Doctor und dem Dalek spielt er mit einer wahnsinnigen Intensität, die einem fast schon körperlich nahe geht. Dadurch ist die Szene, in der der Doctor im Verlies des Daleks eingeschlossen wird – sie ist in beiden Werken weitestgehend gleich – in der Fernsehfassung noch ein Stück beeindruckender als im Hörspiel. Ein ebenso großes Lob muss man für Nick Briggs aussprechen, der dafür verantwortlich ist, dass der Dalek in den Dialogszenen nicht bloß ein charakterloser Blechpott ist. Er spricht die Daleks in den Hörspielen und in der wiederbelebten Fernsehserie. Im Vergleich zu früheren Dalek-Stimmen ist seine Darstellung ein sehr großer Fortschritt. In den Fernsehfolgen wird der Dalek außerdem von drei Personen gesteuert, die sich genau miteinander abstimmen müssen, und sei es nur für das Leuchten der Lampen im Sprechrhythmus. Von daher ist es bewundernswert, dass die Darstellung des Daleks in Dalek der Darstellung des Doctors ebenbürtig ist.

Jubilee ist dank der gelungenen Soundeffekte um einiges blutiger als Dalek (auch wenn es dort mehr Tote gibt), gleichzeitig aber auch witziger3, während Dalek weitestgehend humorfrei ist. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung sind sich beide Werke weit ähnlicher als Spare Parts und der Cybermen-Zweiteiler der zweiten Doctor-Who-Staffel. Leider ist das Ende von Jubilee durch das Auftreten der Dalek-Armee etwas überladen, auch wenn das mit einem schickem Zeitreiseproblem begründet wird. Im Regelfall kann man davon ausgehen, dass der Schrecken, der in einer Folge durch die Daleks verbreitet wird, indirekt proportional ist zu der Zahl der in der Folge auftretenden Daleks. Deshalb ist Fernsehfolge in ihrer reduzierten Art insgesamt eine rundere Sache als das Hörspiel.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass sowohl Jubilee als auch Dalek nicht für absolute Doctor-Who-Neulinge geeignet sind. In Dalek wird zwar auch Neu-Fans eindrucksvoll gezeigt, was die Daleks ausmacht, aber um das Verhalten des Doctors zu verstehen, sollte man zumindest die vorherigen Folgen der Staffel gesehen haben. Für Jubilee braucht man etwas Vorwissen in Sachen Daleks und Zeitreisekonzepte in Doctor Who, andererseits wird kaum jemand sein erstes Big-Finish-Hörspiel vor Genuss der Fernsehfolgen hören, weshalb diese Einschränkung hier nicht so ins Gewicht fällt.

  1. Auf Hörspiele mit dem 9. Doctor werden wir leider bis weit nach dem St.-Nimmerleins-Tag warten müssen. []
  2. Weil Canon-Diskussionen bei Doctor Who ein Quell immerwährenden Streits immerwährender Freude sind: Durch diese völlig unterschiedliche Ausrichtung ist es möglich, dass die Handlungen von Hörspiel und Fernsehfolge sich nicht gegenseitig ausschließen. Man benötigt also keine mühsam konstruierten Erklärungen, um beide Werke in der gleichen Realität stattfinden zu lassen. []
  3. Zwei Worte: Singende Daleks. []
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