Sherlock

Die BBC versorgt einen glücklicherweise auch in der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit mit ordentlicher bis außerordentlich gelungener Fernsehkost. Diesjahr bekommen wir die Serie Sherlock zu sehen. Die 3 Folgen mit je 90 Minuten Länge basieren auf den Büchern von Arthur Conan Doyle; die Handlung wurde in die Gegenwart verlegt. Das kann schnell schiefgehen, tut es hier aber nicht – man bedenke, dass die Buchvorlage zum Zeitpunkt des Erscheinens in der Gegenwart gespielt hat, davon abgesehen passieren Mord und Totschlag sowieso immer.

Hinter dieser fabelhaften Serie stecken Steven Moffat und Mark Gatiss, beide wohlbekannt von Doctor Who. Sherlock Holmes wird vom hinreißenden Benedict Cumberbatch dargestellt, Dr. John Watson vom ebenso hinreißenden Martin Freeman. Sherlock ist hier ein genialer Soziopath; er ist ein brillianter Detektiv, dafür hat er es nicht so mit dem Zwischenmenschlichen. John erscheint neben ihm zwar auf den ersten Blick ein bisschen unscheinbarer, lässt sich aber von Sherlock nicht die Butter vom Brot nehmen. Die Nebenfiguren bei der Polizei ertragen Sherlocks Extravaganzen dagegen mehr schlecht als recht. DI Lestrade (Rupert Graves) greift dennoch bereitwillig auf seine Fähigkeiten zurück. Sherlocks und Johns Vermieterin Mrs Hudson (Una Stubbs) ist so etwas wie die gute Seele von 221B Baker Street und ist anscheinend ganz froh, dass sie die beiden bemuddeln kann. Im Hintergrund zieht Sherlocks Widersacher Moriarty seine Fäden. Würde man ihn als Sherlocks Erzfeind bezeichen, würde er sich sicherlich geschmeichelt fühlen. Sherlock und John sprechen sich übrigens mit Vornamen an, wie das bei Mitbewohnern so üblich ist.1

Sherlock ist so ziemlich das genialste, was diesen Sommer im Fernsehen gelaufen ist. Ich könnte jetzt noch lange und sich wiederholende Ausführungen verfassen, wie toll ich alles an dieser Serie finde, was ich der werten Leserschaft aber mal erspare. Nur so viel: Sherlock ist, wie man es von dem Team Moffat und Gatiss erwartet, witzig und spannend und hat exzellente Schreiberlinge, Regisseure und Schauspieler, sodass das Zuschauen ein wahrer Genuss ist. Neben ein paar anderen Sachen, die man sonst im Fernsehen nicht so oft macht, fällt bei der Bildsprache vor allem in A Study in Scarlet und The Great Game, wo Paul McGuigan Regie geführt hat, die Umsetzung von SMS- und anderen Texten im Bild auf, was uns einige Einblendungen von Handy-Bildschirmen erspart. Als kleines Zuckerchen für die Internet-Generation wurden Websites online gestellt, die sich in die Serienhandlung einfügen2. In der dritten Folge The Great Game werden diese Websites ihrerseits in die Handlung einbezogen. Es ergeben sich aber keinerlei Verständnisprobleme, wenn man die fingierten Blogs nicht gelesen hat. Der einzige kleine Makel, den ich an Sherlock finden kann, ist das in The Blind Banker auftretende übliche Problem der BBC, dass man keine Muttersprachler für Fremdsprachen hat3, aber mal ehrlich, das Gesamtbild wird dadurch nicht gestört.

Sherlock steht natürlich wegen Steven Moffat und Mark Gatiss unter besonderer Beobachtung der Doctor-Who-Fans. Man kann es kaum verhindern, an manchen Stellen Parallelen zwischen beiden Serien zu ziehen. Nicht zuletzt ist die durchschnittliche Doctor-Companion-Beziehung nahe dran an der Dynamik zwischen Holmes und Watson und der Master ist quasi ein charmanterer (und, nach neuerer Lesart, in den Wahnsinn getriebener) Moriarty. In The Blind Banker, wo mit Euros Lyn einer der Doctor-Who-Stamm-Regisseure Regie geführt hat, wurden zudem einige wohlbekannte Drehorte wiederverwertet.4

Die DVD zur Serie erscheint schon Ende August (und das sogar zu einem von Anfang an vernünftigen Preis). Darauf ist neben einem kleinen Making-of der unausgestrahlte Pilot enthalten5 und zur ersten und letzten Folge gibt es (wirklich lohnenswerte!) Audiokommentare. Eine zweite Staffel ist bestätigt, andernfalls hätte ich angesichts des Cliffhangers einen Sitzstreik bei der BBC gemacht.

Update: Die deutsche Ausstrahlung wird bei der ARD erfolgen, irgendwann im Herbst/Winter 2011. Ich hoffe darauf, dass die Synchro so gut wird wie bei Children of Earth und dass die Folgen nicht zu nachtschlafender Zeit versendet werden6.

  1. Der unumgängliche Doctor-Who-Darsteller-Check: Benedict Cumberbatch (im Hörspiel Forty-Five), Mark Gatiss (neben seiner Tätigkeit als Schreiberling auch Darsteller in The Lazarus Experiment), Philip Davis (The Fires of Pompeii), Vinette Robinson (42), Gemma Chan (The Waters of Mars), Paul Chequer (Random Shoes) und – nur zu hören, nicht zu sehen – Peter Davison (Darsteller des 5. Doctors). []
  2. Die bewussten Websiten bzw. Blogs wären: The Science of Deduction (die Website von Sherlock), John Watsons Blog, die Website von Connie Prince und Molly Hoopers Blog. Es empfiehlt sich, die Blogeinträge immer erst nach der jeweiligen Folge zu lesen, da sie Spoiler enthalten! Diese 4 Websites sind mengenmäßig übrigens gar nichts gegen die vielen fingierten Websites zu Doctor Who. []
  3. Wenn ich mal zu Geld komme, werde ich eine Stiftung namens "Native Speakers for Auntie Beeb" gründen, mit der ich der BBC Muttersprachler und auch eine Rechtschreibprüfung für die Untertitel finanziere. []
  4. Sherlock wurde teils in London und teils in Wales gedreht. Die Räumlichkeiten des Museums waren sozusagen über Raum und Zeit verteilt, dafür hat man nämlich die alte Bibliothek von Swansea, das National Museum of Wales in Cardiff und den Temple of Peace in Cardiff genutzt; die letzteren beiden sieht man mindestens einmal in jeder Doctor-Who-Staffel. Der chinesische Circus fand im Newbridge-Memo-Gebäude statt. Den berühmten Lift der BBC gab es in den 3 Folgen dagegen erstaunlicherweise nicht zu sehen. Daneben gab es die London-Ansicht aus der Titelsequenz auch in The Christmas Invasion und ein paar kleine Anspielungen in den Dialogen konnte man sich nicht verkneifen, nämlich die Arch-Enemy-Diskussion und die funny little (human) brains. []
  5. Update: Der Pilot ist für sich genommen nicht schlecht, aber die ausgestrahlte Variante ist halt so viel geiler. Es gibt zwar etliche schöne Szenen, doch in der ausgestrahlten Serie haben die Schauspieler alle eine noch bessere Chemie untereinander und die Serie sieht um einiges schicker aus als der Pilot. Eine ganz ganz große Schwäche des Piloten ist außerdem, dass Mycroft darin nicht vorkommt. []
  6. Ich möchte ja nicht das arme Schwein sein, das den Anfang von The Great Game übersetzen muss. []

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sid, Mittwoch, 5. August 2015, 01:20
Auf 3Sat läuft der Krimisommer und heute haben sie mit Sherlock begonnen : ))

sid, Sonntag, 3. April 2016, 13:47
Haben Sie auch schon Die Braut des Grauens gesehen?

muerps, Donnerstag, 7. April 2016, 16:13
Ja. Herrlich Meta. Und wahrscheinlich relativ unverständlich, wenn man nicht die vorherigen drei Staffeln, Steven Moffats Stil bei Doctor Who und verschiedene Diskussionen im Fandom kennt. Ich fands absolut toll.

sid, Freitag, 8. April 2016, 00:28
Ich fands auch ohne Doctor Who und Fandom sehr unterhaltsam : )
(Kommt aber event. noch der Punkt, da ich das alles nachhole und dann noch begeisterter bin.)

muerps, Freitag, 8. April 2016, 14:57
Das find ich ja beruhigend, dass es auch ohne 3 Schubkarren voll Vorwissen Spaß gemacht hat.